Da wurde dann doch von Erneuerung gesprochen, von einem jungen und frischen Team. Und ich hab das erst so an mir vorbeiziehen lassen. Hat mich irgendwie auch nicht so richtig im Detail interessiert. Dann habe ich aber einen Artikel im Spiegel von Franz Walter zum Zustand der SPD gelesen (…leider hinter der Paywall) und da hat es mich dann doch irgendwie mal interessiert und ich habe mir das mal angeschaut:

Ups. 38 Leute im Vorstand (Müssen Vorstände eigentlich so groß sein? Andere Frage…).

Aber dann: 7 (!) Juristen (…ich hab mal scherzhaft gesagt, wir sollten den Vorstand lieber HartmannLüdersPartner nennen…), 4 Diplomverwaltungswirte (oder so), einige Sozial- und/oder Politikwissenschaftler, eine ganze Latte Dipl.Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter, Geographen, Betriebs- und Volkswirte (3), ein Soziologieprofessor. Oh – und siehe da: Eine Krankenschwester, ein Bankkaufmann und ein Elektromeister (wenn auch in der Energiewirtschaft bei einem städtischen Energieversorger…).

Einschub: Im Deutschen Bundestag sitzen übrigens 148 (!) Juristen. 20% aller Abgeordneten! Aber nur 10 Bauern, was ziemlich genau dem Anteil von Bauern an allen Erwerbstätigen entspricht.

Nun habe ich ja nichts gegen Juristen im Allgemeinen oder Politikwissenschaftler im Besonderen (…einer der schlausten Politiker, den ich kenne ist Politikwissenschaftler und weiß wirklich, worüber er redet) – aber liebe SPD: Kein Quotenarbeiter??? Und von wegen Industrieland NRW, Wiege des Mittelstandes und Quell des deutschen Exportüberschusses: Wo ist denn ein Maschinenbauer? Ein Ingenieur? Ein Mechatroniker?

Und gerade auch die SPD redet ja viel über die Zukunft der Arbeit, über Digitalisierung, Transformation (…und wer es noch nicht gelesen hat, Andrea Nahles hat ein ganz hervorragendes Weißbuch in ihrer Zeit als Arbeitsministerin geschrieben) – aber: Liebe SPD – Wo sind denn die Leute aus der Digitalen Wirtschaft in unserer Partei vertreten? Die Webdesigner, Programmierer, Projektmanager, Digital Transformation Consultants?

Ich hör dann als Einwand immer, dass die Digitalen und die Ingenieure alle zuviel arbeiten und/oder zuviel Geld verdienen um sich um Politik zu kümmern. Ooookay.

Und ich will ja nun niemanden in unserem Landesvorstand abqualifizieren – dazu kenn ich die alle garnicht gut genug. Die, die ich gut kenne, schätze ich sehr und ich weiß, dass die arbeiten als ob es kein Morgen gäbe. Aber wenn man mal so oberflächlich über die Lebensläufe liest, dann hat man als Bürger schon den Eindruck, dass mindestens die Hälfte der Mitglieder im Vorstand noch nicht richtig gearbeitet haben (***Geschrei***) – soll übersetzt aus Volksdeutsch heißen: Ihr bisheriges Leben mit Politik oder in einem sehr politiknahen Bereich verbracht haben (z.B. Behörden, Kommunale Einrichtungen etc.). Das ist natürlich auch Arbeit. Aber vielleicht doch weiter von den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen entfernt, als uns lieb ist.

Da lies man den Artikel von Franz Walter ja dann doch ganz anders. Den fand ich in dem Kontext dann doch sehr gut und lesenswert. Und das sagt alles über die gute alte Arbeiterpartei und warum wir bestimmte Schichten nicht mehr abholen.

Die Frage ist: Wie kommt das? Und was tun wir dagegen?

Ich persönlich glaube, dass es ein großer Fehler ist, dass wir in allen Parteien viel zu viele Berufspolitiker haben, die ihren Lebensunterhalt mit Politik verdienen. Das ist natürlich ein systemischer Fehler, weil der Wechsel vom Berufsleben in die Politik und wieder zurück eben nicht so einfach ist, wie man sich das vorstellt. Das erklärt natürlich auch, warum soviele Politiker in politiknahen Bereichen arbeiten. Der Wechsel aus dem Jobcenter oder dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in die Politik und zurück ist natürlich einfacher als vom mittelständischen Maschinenbauer aus Bottrop. Und wenn die Leute einmal in ein bezahltes Mandat gewechselt sind, kann man ihnen nicht verdenken, dass der Rückweg irgendwie nicht attraktiv ist. Hier wäre z.B. eine garantierte Wechselmöglichkeit mit vollem Rückkehrrecht sinnvoll – ähnlich wie Mutterschutz. Ist bei der Anzahl von Menschen, über die wir hier reden ja eigentlich auch easy finanzierbar.

Ich bin zudem ein großer Fan des von den Grünen ganz zu Anfang getesteten Rotationsprinzips. Eine oder zwei Legislaturperioden und du musst dein Mandat wieder abgeben. Da gibt es viele Gründe dagegen. Einen, den ich immer wieder höre ist der, dass man dann die ganzen Experten verliert (…wobei wir manchen ja gerne loswerden würden…). Das ist aber so ein wenig die alte CEO-Leier, die man aus der Wirtschaft kennt: Wenn ich es nicht mache, kann es keiner und deswegen muss ich hinterher mindestens mal Aufsichtsratsvorsitzender werden. Ich denke aber, die Experten sind ja unsere Beamten in den Ministerien und Organisationen, verbeamtete Staatssekretäre usw. Da wäre es mir lieber, wenn der Minister oder Abgeordnete näher an den Menschen als an den Experten wäre. In meiner einfachen Vorstellung sollte der Politiker den Beamten doch immer fragen: Warum können wir das nicht so und so machen? Aber stattdessen sind Politiker heute ja auch schon sehr im Denken eingeschränkt (Finanzierungsvorbehalt, „geht-nicht-weil“ usw.).

Vielleicht lindert das dann auch das Problem, dass gerade die SPD Politiker immer so detailversessen über Nachkommastellen und Spiegelstriche reden, statt über große Visionen und Ideen für die Zukunft. Der Vorteil wäre auf jeden Fall, dass wir mehr Wechsel haben und vielleicht auch neue Ideen und Eindrücke.

Erneuerung also qua Statut.

Und nicht zuletzt wäre vielleicht ein Quote für Parteien sinnvoll.

Ich habe es mal nachgeschaut: Die Bundesanstalt für Arbeit weist in ihrem „Blickpunkt Arbeit“ vom Mai 2018 rund 336.000 Erwerbstätige mit einem Jura-Abschluss für ganz Deutschland aus. Das entspricht in etwas 0,4% der Bevölkerung – sinnvollerweise auf die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten insgesamt umgerechnet 0,75%. Das würde demnach bedeuten, dass wir im Parteivorstand gerade mal einen „Drittel-Juristen“ haben dürften. Statistisch sollten wir aber mindestens einen Ingenieur haben. Aber ingesamt nicht mehr als 8 Akademiker (20% aller Erwerbstätigen).

Vielleicht kann man da ja mal drüber nachdenken. Inhaltliche und programmatische Erneuerung ist zwar sicher richtig und wichtig, aber personelle Erneuerung und ständige Auffrischung ebenso. Da muss man aber an grundsätzliche Themen ran. Und das wird sicher kein Spaß werden.

Und ich sag noch: Die Partei ist sowas von im Arsch.

PS: Das gleiche Spiel kann man natürlich mit „Suche SPD“ und „Ersetze durch CDU“ o.ä. spielen.
PPS: Vielleicht mit Ausnahme der AfD – da sitzen genauso viele Deppen in den Parlamente wie prozentual in der Bevölkerung vertreten.

PPPS: Addon – gerade auf Spiegel zum gleichen Thema: „Frauenquote? Ja! Und bitte gleich noch eine Quote für junge Menschen dazu“