So Leute. Das war es für mich. Eine wirklich lange Reise kommt an ihr Ende. Ein Abschiedsrant.

Ich war schon im Internet, als die meisten Menschen noch dachten, BTX sei das große Ding der Zukunft und der Zuck noch mit Big Jim gespielt hat. Ich habe mit meinem guten Freund Markus Giltjes (check: www.bobok.com) in Bochum im Café Konkret mit unseren Powerbook 100 gesessen, als uns die anderen Gäste noch verstohlen gemustert haben, weil wir einen tragbaren Computer besaßen. In Irland habe ich mal in einer Telefonzelle mit meinem Akustikkoppler meine The Well Messages gelesen, während ein Pärchen vor der Telefonzelle ganz aufgeregt darüber debattiert hat, ob ich wohl ein Hacker sei.

Wir glaubten, dass das Web, Foren und erste Communities unsere Welt, unsere Gesellschaften und unser Leben besser, freier und gerechter machen würden. Dass die Möglichkeit, dass jeder eine Stimme bekommt, neue Formen der Demokratie, der Verständigung und des Austauschs hervorbringen würde.

Ich war an der vordersten Front derer, die mit dem festen Glauben beseelt waren, dass die Digitalisierung uns in eine bessere Zukunft führen würde, und habe die Leute belächelt, die mit kritischen Stimmen um die Ecke kamen.

Ich habe im Job völlig genervt DAX-Vorständen erklärt, dass sie und ihre „Legacy“-Unternehmen am Ende sind, weil sie zu langsam darin sind, ihre bestehenden Strukturen und Geschäftsmodelle einzureißen und komplett neu zu denken. Und mit meiner Arroganz habe ich dabei noch ordentlich Geld verdient.

Tatsächlich aber habe ich nicht – oder besser: erst viel zu spät – erkannt, dass mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft die elementarsten Formen unseres menschlichen Zusammenlebens, von Werten, Anstand und Würde, komplett disruptiert und auseinandergenommen wurden. Dass nicht nur Geschäftsmodelle zerstört und transformiert wurden, sondern auch all das, was wir in all den vielen Jahren mühsam aufgebaut hatten und worüber wir in schwierigen gesellschaftlichen Kämpfen am Ende Konsens gefunden und gemeinsam daran zu wachsen versucht hatten.

Ich habe nicht kommen sehen, dass eine neue Kaste von unreifen Kinderunternehmern ihren technologischen Vorsprung und ihre – zumindest zu Beginn noch visionären – Ideen dazu nutzen würde, eine neue Form des neo-feudalen Turbokapitalismus zu implementieren, in dem wir Menschen zu bloßem Rohmaterial für ein Ausbeutungssystem werden, das den User gleichzeitig verzehrt und verachtet. Entkommen ist unmöglich – zu abhängig sind wir inzwischen von unseren digitalen Egos.

An der Spitze dieser neuen Weltordnung: Eine neofeudale Elite, die in unermesslichem Reichtum schwelgt. Ihre Macht beruht nicht auf so schnöden Dingen wie Stahl, Waffen, Sklaverei oder Waren, sondern auf der Kontrolle über Daten und Bewusstsein. Scheinbar freie Märkte, die wir für offen hielten, sind in Wahrheit eine Illusion – die neuen Herren orchestrieren nicht nur den Handel, sondern auch, wie wir die Welt sehen und was wir denken.

In den letzten Wochen und Monaten vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht wie unter dem Mikroskop den Zerfall unserer westlichen Demokratien und Gesellschaften beobachten kann. Ein skurriler neuer russischer Zar, der ungeniert imperialistisches Expansionsstreben zelebriert und heute die Ukraine in Schutt und Asche legt – und morgen vielleicht Polen. Ein Vergewaltiger an der Grenze zur Debilität als US-Präsident, der ohne Scham mit der Annexion von Kanada oder Grönland droht. Lack saufende Nazis, die sich mit Entwurmungsmitteln ihr Hirn weggespitzt haben und jetzt den Schnitzel-Kanzler spielen wollen. Eine Bande von Nazis und Rechtsextremen, die unsere Demokratie zerstören wollen und sich selbst als „Alternative“ verstehen. Alternative zu was? Zu Vernunft, Anstand und Werten?

Und wenn du denkst, es geht nicht schlimmer, kommen die Konservativen mit ihrem ewig alten, vollkommen ahnungslosen „Nur wir wissen, wie alles funktioniert“-Gehabe und erklären, die Grünen seien an allem schuld (Spahn, halt einfach mal die Fresse!). Wenn man die Nazis erfolgreich bekämpfen wolle, müsse man deren Ideen klauen und ihnen den Steigbügel halten – was schon 1933 gut geklappt hat. Fritz Franz von Papen-Merz, direkt aus der sauerländischen Amtsrichterstube mit kleinem Umweg über den Blackrock-Aufsichtsrat, mit Vollgas in die Bedeutungslosigkeit der CDU.

Und über all dem schwebt ein südafrikanischer Apartheidsgewinnler mit seinem weltumspannenden Satelliten- und Schmutznetzwerk, beschimpft Bundeskanzler und Premierminister, und niemand fährt mal hin, um dem eine aufs Maul zu hauen. Oder ihm wenigstens die Einreise nach Europa zu untersagen und sein Vermögen einzufrieren.

Und dann kommt noch diese Lusche von Mark Zuckerberg, der ewige Zweite, der Verlierer, der sich ständig vor Angst in die Hose macht und meint, man müsse zurück zu den „Wurzeln“, wo Fakten noch geleugnet werden durften und jeder seinen sexistischen, rassistischen und sonstigen Dreck ungehemmt auspusten kann.

Nee. Irgendwann muss auch mal gut sein. Und da bin ich dem Verlierer dann doch dankbar, dass er mir den Stein des Anstoßes geliefert hat. Ich habe aufgehört zu rauchen, zu trinken, bin auf Low-Carb umgestiegen, esse kaum noch Fleisch und versuche mein Leben klimaneutral zu gestalten. Der nächste Schritt ist, sich endlich von diesen Müll- und Hetzschleudern zu befreien, die in deiner Wochennutzungsstatistik immer wieder auf den vorderen Plätzen landen.

Deswegen ist jetzt Schluss mit Facebook und Instagram (Twitter habe ich schon lange gecancelt). Auch wenn ich aus beruflichen Gründen noch auf Instagram angewiesen bin und WhatsApp leider von fast allen Menschen genutzt wird, mit denen ich zu tun habe, werde ich zumindest meine privaten Accounts jetzt erstmal auf Eis legen – und in ein, zwei Wochen dann endgültig löschen.

Wer etwas von mir will, hat meine E-Mail, meine Handynummer oder findet mich auf einem hoffentlich entspannteren Bluesky oder auf meiner Website, wo ich immer mal wieder einen Rant raushaue.

Was bringt das? Es fällt im Silicon Valley kein Sack Reis um, wenn ich nicht mehr bei Facebook und Instagram bin, aber es gibt keinen guten Grund, Teil eines Systems zu sein, das man verachtet – und das unsere Gesellschaft schnell und effizient zerstört. Stattdessen gewinnt man ein Stück Freiheit zurück, spart Zeit und bekommt nicht neben den Hiobsbotschaften aus den Nachrichten auch noch den Dreck von irgendwelchen Nazi-Idioten aus Ratingen in die Timeline gespült.

Und natürlich verteufele ich nicht Digitalisierung an sich und werde nicht aufhören diese aktiv weiter mitzugestalten, aber der Irrweg der sozialen Hetzmedien muss gestoppt werden!

Viel sinnvoller und wichtiger ist es deswegen, dass gerade wir, die wir diesen ganzen Kram mit angestoßen haben, mit Politiker:innen und Medien sprechen und nicht aufhören, vor den Gefahren von Social Media für unsere Gesellschaft zu warnen. Wenn wir unsere liberalen und pluralistischen Demokratien erhalten wollen, kommen wir nicht drumherum, Social Media – und auch AI – knallhart zu regulieren und nach unseren eigenen Regeln zu gestalten. Die Regeln unseres Zusammenlebens werden nicht in Texas oder Palo Alto gemacht – sie werden immer noch hier von uns gemacht.

Und auch wenn die Nazis dann rumheulen wegen „Zensur“ und „freier Rede“ (geiler Witz, Zuck!): Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit, aber kein Recht auf die massenhafte, algorithmische Verbreitung deiner Lügen und Hetze. Meinungen sind wichtig, aber Fakten sind besser.

Der Digital Services Act der EU war ein erster, wichtiger Schritt (was man schon an Zucks Statement ablesen kann), aber es müssen weitere folgen. Wir müssen in Europa viel härter und kompromissloser unsere Interessen durchsetzen und uns nicht aus Furcht vor dem Idioten in Mar-a-Lago den Schwanz einziehen.

Zum Schluss: Auch wenn das nicht wirklich eine bessere Perspektive eröffnet, denkt doch bitte einmal in Ruhe darüber nach, ob nicht wirklich alles heute, vor 9 Jahren, am 10. Januar 2016, so richtig ins Rutschen gekommen ist. Ich vermisse ihn auf jeden Fall immer noch.

Am Ende bleibt mir, euch mit Yanis Varoufakis zuzurufen: „Cloud-Sklaven aller Länder, vereinigt Euch!“

See ya!

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