Disclaimer vorab: Nein, ich bin kein Adidas-Aktionär. Zu wenig Dividende für meinen Geschmack. Und nein, ich bin auch kein CFO und mein ehemaliger CFO kann bestätigen, dass ich eigentlich kein Interesse an betriebswirtschaftlichen Zahlen habe. Immer nur Sales und Marketing. Aber das was gerade mit adidas passiert, ist wieder einmal so schön beispielhaft dafür, wie sich im Internet (gerne vollkommen sinnbefreit) ein Shitstorm entwickelt.
Die ganze adidas-Schelte hat ja zum Teil absurde Züge angenommen. Hier in meiner Heimatstadt regen sich in den einschlägigen Foren unter anderem stadtbekannte Handwerker über das böse adidas auf. Dabei wäre aus meiner Sicht anzuraten, dass man einfach mal die Geschäftszahlen ein wenig näher anschaut und in Relation setzt, bevor man eine große Klappe hat und auf den bösen Kapitalisten schimpft (Anmerkung: Ist adidas eigentlich ein linker Konzern? Das würde einiges erklären…).
Nehmen wir uns aber einmal die adidas Geschäftszahlen:
Umsatz adidas 2019: 23.640.000.000 €
Gewinn adidas 2019: 1.976.000.000 €
Mitarbeiter adidas 2019: 59.500
(Quelle: https://www.adidas-group.com/de/investoren/finanzberichte/)
Das sind natürlich gewaltige Zahlen und es kann sein, dass der ein oder andere angesichts der vielen Nullen verwirrt ist. Deswegen wollen wir das mal auf einen durchschnittlichen SHK-Betrieb (Volksmund auch: Klempner) herunterbrechen. Dazu nehmen wir die Zahlen des Zentralverband SHK, die man auf dessen Website finden kann:
Umsatz des SHK Handwerk 2019: 46.500.000.000 €
Unternehmen des SHK Handwerks 2019: 47.839
Beschäftigte des SHK Handwerks 2019: 374.065
(Quelle: https://www.zvshk.de)
Wenn wir das mal umrechnen, so macht das einen Durchschnittsumsatz von 972.010 € pro Betrieb bei durchschnittlich 7,81 Mitarbeiter. Ist vielleicht nicht ganz korrekt einfach den Durchschnitt zu rechnen, aber eine gute Arbeitsgrundlage.
Ein Mitarbeiter der SHK-Branche macht im Schnitt also 124.309 € Umsatz pro Jahr, was – wenn man die Gehälter betrachtet – ja nicht so schlecht ist. Ein adidas-Mitarbeiter macht im Schnitt übrigens 397.310 € Umsatz – was zwar mehr als das Dreifache ist, aber natürlich nicht berücksichtigt, dass adidas als produzierendes Gewerbe deutlich mehr Fremdkosten hat und die Mitarbeiter in den ganzen Fabriken ja keine adidas-Angestellten sind.
Jetzt wird in den Medien immer auf den „obszönen“ Milliardengewinn (2 Milliarden!!!) von adidas verwiesen. Rechnen wir also zum Spaß nun aber eimal den Gewinn von adidas auf einen durchschnittlichen SHK-Betrieb herunter:
Adidas macht 23.640.000.000 € Umsatz, ein durchschnittlicher SHK-Betrieb 972.010 €. Also haben wir in der Schule gelernt:
23.640.000.000 € = 972.010 € * X
X = 23.640.000.000 € / 972.010 €
X = 24.320
Ein adidas entspricht also 24.320 SHK-Betrieben. Folglich müssen wir natürlich auch den Gewinn von adidas auch einmal auf die 24.320 SHK-Betriebe verteilen:
1.976.000.000 € / 24.320 = 81.247 €
D.h. der „obszöne“ Gewinn eines adidas entspricht einem Gewinn von 81.247 € eines durchschnittlichen SHK-Betriebes mit 972.010 € Umsatz. Ein Gewinn von knapp 8% klingt ja erstmal recht solide (…wobei ich als Handwerker damit ehrlich gesagt nicht zufrieden wären und in meiner Branche alles unter 15% müde belächelt wird…).
Aber schauen wir weiter:
Heute heißt das ja nicht mehr Klempner, sondern das Berufsbild in der SHK-Branche hat sich ja auch geändert. Entsprechend reden wir hier vom Anlagenmechaniker SHK (oder anderen Berufsbildern). Nachdem, was man so online finden kann (der ZVSHK liefert bedauerlicherweise keine Zahlen), verdient ein Anlagenmechaniker SHK im Mittel ca. 2.500 €. Kann deutlich mehr sein, aber auch weniger. Aber rechnen wir mal mit 2.500 €.
2.500 € im Monat sind mit Lohnnebenkosten ca. 3.000 € im Monat. Bei 7,8 Mitarbeiter, die unser durchschnittlicher Betrieb hat, sind das also 23.430 € Personalkosten.
Die Personalaufwandsquote liegt beim SHK-Handwerk bei maximal 30% – also machen die Personalkosten nur 30% des Aufwands aus.
Machen wir kurz die Probe: 23.430 € Personalkosten hat unser Musterbetrieb im Monat. Wenn das 30% sind, dann wären 100% entsprechend 78.100 € im Monat. Im Jahr also 937.200 €. Das entspricht rein zufällig fast genau dem oben ausgerechneten Durchschnittsumsatz eines SHK-Betriebes in Deutschland (972.010 €). Also können die Zahlen nicht so ganz falsch ausgedacht sein.
Gut. Nehmen wir an in der Krise laufen die Personalkosten voll weiter – also 23.430 € pro Monat. Da aber keine Aufträge mehr da sind, fällt natürlich der Materialeinkauf weg. Mieten, Leasing, Versicherungen und sonstige laufende Kosten fallen aber natürlich nicht weg. Nehmen wir dafür mal 15% des monatlichen Umsatzes an – also 12.150 €. Das würde bedeuten, dass unser Musterbetrieb ohne Aufträge trotzdem jeden Monat einen Kostenblock von 35.580 € hätte.
Unser adidas-Vergleichsmusterbetrieb hat also ungefähr 35.580 € feste Kosten im Monat. Und keine Einkünfte wegen der Krise. Der Jahresgewinn vom letzten Jahr in Höhe von 81.247 € reicht also genau für 2,28 Monate. Danach ist von dem Gewinn vom letzten Jahr nichts mehr da.
Kein Wunder also, dass adidas überlegt, wie es seine Kosten in der Krise so anpassen kann, dass es möglichst gut durch diese Krise kommt. Der Handwerkermeister würde vielleicht auch seinen Vermieter anrufen und fragen, wie es aussieht, wenn er erst Ende des Jahres bezahlt – oder?
Nun hat adidas aber natürlich auch noch Rücklagen. Wenn ich das richtig lese (wie gesagt – bin kein Finanzer sondern immer nur Marketing & Sales gewesen…), dann reden wir hier über knapp 6.5 Milliarden, in denen die 2 Milliarden von 2019 allerdings schon enthalten sind. Wieder runtergebrochen auf unseren SHK-Betrieb sind das Rücklagen von 267.269 €. Da ist adidas als börsennotiertes Unternehmen wahrscheinlich besser aufgestellt, da es nur knapp 30% der Gewinne an die Aktionäre ausschüttet und den Rest in die Rücklagen einstellt. Der typische SHK-Betrieb schüttet wahrscheinlich eine höhere Quote an die Eigentümer aus und hat daher niedrigere Rücklagen.
Würde unser SHK-Musterbetrieb seine Rücklagen komplett aufzehren (was bei adidas aus diversesten Gründen, auf die ich hier im Detail nicht eingehen möchte, nicht möglich ist), käme er immerhin 7,5 Monate über die Runden.
Ich finde, dass ein verantwortungsvolles Unternehmen daher vollkommen zu Recht mit seinem Vermieter über eine Mietstundung (Stundung!) spricht. Dafür braucht es noch nicht einmal ein Gesetz. adidas hat daher auch schon bevor die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht hat, seine Maßnahmen angekündigt.
Hinzukommt jetzt, dass sich viele darüber aufregen, dass nun der „arme Vermieter“ das Leid tragen muss. Da wird immer das Bild des armen Rentners skizziert, der jetzt dank adidas nichts mehr zu essen hat. Nach meinem Kenntnisstand sind der überwiegende Teil der Vermieter von adidas aber international tätige Immobilienfonds. Ggf. ist mal der ein oder andere „private“ Vermieter dabei. Ich gehe aber mal davon aus, dass es sich bei Immobilienbesitzern, die an adidas einen Laden vermieten, nicht um den typischen Rentern mit einem oder zwei MFH handelt.
Ist adidas also böse? Aus meiner Sicht nein. Zumindest nicht deswegen 🙂 Hinzukommt, dass – wie ich hörte – adidas übrigens mit Ausnahme der Shop-Mitarbeiter bislang niemanden in Kurzarbeit geschickt hat sondern die Mitarbeiter weiter voll beschäftigt. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen.
War die Aktion schlau? Nein. Statt eine Verlautbarung dazu an die Presse zu geben, hätte man lieber ohne die Öffentlichkeit mit den Vermietern gesprochen. So ist jetzt ein massiver Imageschaden entstanden, den man hätte auch verhindern können.
Anmerkung: Ich bin ein erklärter Gegner von den teils absurden Vorstandsgehältern der großen Unternehmen, aber genauso kann man natürlich auch mit den Gehältern der Vorstände verfahren. Wenn man das Gehalt von 6.400.000 € eines Kasper Rorsted, dem CEO von adidas, mal auf unseren SHK-Musterbetrieb herunterrechnet, dann kommt dabei folgendes heraus:
6.400.000 € / 23.640.000.000 € = X / 972.010 € (X = Gehalt des Geschäftsführers des SHK-Musterbetrieb)
X = 263,14 €
Ich glaube kein Geschäftsführer eines kleinen SHK-Betriebes würde für 263 € im Jahr (= 21,91 € p.M.) einen Finger krümmen.
Kommentare, Anmerkungen zu Rechenfehlern, Milchmädchenrechnungen und anderes immer gerne 🙂
Kommentare von christoph