Die CDU im beschaulichen Thüringen, das neben seiner ganz hervorragenden Bratwurst vielen Menschen ansonsten nur für seine rechtsextremen Politiker:innen bekannt ist, hat einen vollkommen sinnentleerten Antrag mit dem Titel „Gendern, nein danke“ in den Erfurter Landtag eingebracht.
Nicht genug damit, dass man sich mit dieser Dummschrift als eine Partei geoutet hat, die in der gegenwärtigen Weltlage den klaren Blick auf die wirklich wichtigen (!) Themen zu fokussieren vermag, hat man diesen (im übrigen vollkommen wertlosen, da rechtlich in keinster Weise bindenden) Antrag auch noch mit der gesichert rechtsextremen AfD gemeinsam durchgesetzt.
Wenn der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt (übrigens ein Professor für Digitale Transformation und Politik…) diesen nihilistischen Akt dann damit verteidigt, dass man „als größte Oppositionsfraktion eigenständig inhaltliche Initiativen in den Landtag“ einbringe, dann ist man doch froh, dass die Thüringer Bürger:innen dieser Partei keine anderweitige Verantwortung übertragen haben und nach aktuellem Stand der Umfrage auch nicht mit dem Gedanken spielen.
Wenn man jetzt mal davon absieht, dass die Thüringer CDU sicher nicht zur intelektuellen und gesellschaftspolitischen Speerspitze unseres Landes zählt, stellt man sich doch die Frage, was viele vermeintlich „konservative“ Mitbürger:innen antreibt, die Gender-Petitesse zu einem letzten großen Kulturkampf zu stilisieren?
(Anm.: Da es sich bei den Wortführern der Gender-Debatte fast ausnahmslos um Männer handelt, verwende ich im Folgenden das spezifische Maskulinum.)
Viele pseudoschlaue Kulturkämpfer versuchen gerne die Debatte grammatikalisch zu führen und bringen zunächst das generische Maskulinum in Stellung. „Wir haben doch im Deutschen das generische Maskulinum, das ist doch geschlechtslos!“
Auch wenn dieses Argument ein wenig an die (oft aus gleicher Richtung kommende) quatschige Gegenrede zu E-Autos erinnert („Aber Wasserstoff! Und die Kobaltminen!„), so ist leider das generische Maskulinum keine gottgegebene Norm, sondern eine Form, die sich in einer patriarchalischen Gesellschaft langsam entwickelt hat. Linguistische Forschung legt nahe, dass das generische Maskulinum im Deutschen das Neutrum erst im Laufe der Zeit verdrängt hat. Das generische Maskulinum ist daher nicht Teil der Lösung, sondern eher Teil des Problems.
Andere schöngeistige Widerständler bringen die Reinheit der Sprache gegen das Gendern in Stellung. Der Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen hat extra für dieses sehr wichtige Thema eine Website angelegt, auf der er feststellt:
„Unsere Muttersprache ist bereits sehr komplex, aber auch schön. Sie wird durch „Gendersternchen“, Unterstriche und Sprachpausen verhunzt und verliert an Würde.“
Jens Koeppen
Drängt sich zunächst aus verfassungsrechtlicher Sicht die Frage auf, in wie weit Sprache „Würde“ haben kann („Die Würde der Sprache ist unverletzlich!“), bleibt bei näherer Betrachtung festzustellen, dass die Schönheit und Reinheit unserer Sprache wenn überhaupt durch die in weiten Teilen der Bevölkerung vollkommen abhanden gekommene Fähigkeit zum korrekten Gebrauch von Satzzeichen, die Substitution von „zu“ durch „nach“ („Ich fahre nach Aldi.“), die Verwendung von „Deppen-Apostrophen“, denglischem Sprachmüll oder die Benutzung von grammatikalisch nicht korrekten semantischen Anführungszeichen gefährdet ist. Letzteres eine Unart, die gerade auf der Website der CDU gehäuft auftritt. Da wird dann auch das sprachlich neutrale Bürgergeld bei der CDU zum politisch-polemischen „Bürger“-Geld. Soviel zu dem durch „konservative“ Kreise beklagten politischen Mißbrauch von Sprache durch Gendersternchen.
Mal ganz abgesehen von würdelosen Verhunzungen unserer Sprache durch AfD-Verlautbarungen.
Bei all diesen „Verhunzungen“ hört man wenig Lärm von den Liebhabern der reinen deutschen Sprache.
Am Ende ist der sinnlose Aktionismus der Gendergegner nur das immer wiederkehrende Aufbäumen einer Gruppe veränderungsresistenter, meist konservativer Männer gegen den gesellschaftlichen Wandel, insbesondere, wenn es dabei um Frauenrechte geht. Das allerdings hat im deutschen politischen Konservativismus in Form der „christlichen“ Parteien eine gewisse Tradition.
1952 mussten erst Gerichte und die SPD die Regierung Adenauer davon überzeugen, dass Artikel 3, Absatz 2 („Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“) durchaus wörtlich zu nehmen ist. Nur mit Druck konnten sich die Männer der CDU dazu durchringen, den „Gehorsamspragraphen“ zu streichen. Und erst 1997 versuchten ebenso konservative Männer wie Friedrich Merz sich dem gesellschaftlichen Wandel erneut entgegenzustellen, als sie gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe stimmten.
Es scheint, dass gerade die Männer, die von sich selbst behaupten traditionellen Werten und Tugenden verpflichtet zu sein, ein strukturelles Problem mit der Gleichstellung und der Gleichbehandlug von Frauen haben.
Eine dieser beschworenen Tugenden ist die Höflichkeit, die die Schwarmintelligenz von Wikipedia treffend definiert:
„Die Höflichkeit ist eine Tugend, deren Folge eine rücksichtsvolle Verhaltensweise ist, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen soll. Ihr Gegenteil ist die Grobheit oder Barbarei. Sozial gehört sie zu den Sitten, soziologisch zu den sozialen Normen.“
Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Höflichkeit)
Wenn man nun das ganze populistische Gezeter einmal weglässt und spezielle weitergehende Versuche wie den Gebrauch komplett geschlechtsloser Formen ausblendet, dann ist das Gendern am Ende nur eine ganz normale Form der Höflichkeit insbesondere gegenüber Frauen. Genauso wie man unbekannte Personen siezt, einer Frau die Tür aufhält und den Vortritt lässt oder beim Essen nicht rülpst, gebietet es die Höflichkeit, Frauen beim Gebrauch von Sprache explizit zu adressieren.
Nun möchte natürlich nicht jeder Mensch gesiezt werden und nicht jede Frau möchte die Tür aufgehalten bekommen, trotzdem gibt es einen weitverbreiteten gesellschaftlichen Konsens, dass dies zu einer höflichen Umgangsweise gehört.
So wie wir in der Anrede vollkommen diskussionslos „Sehr geehrte Damen und Herren“ sagen, sollte es für den höfliche Menschen normal sein statt „die Politiker der CDU“ entweder „die Politikerinnen und Politiker der CDU“ oder einfacher „die Politiker:innen der CDU“ zu schreiben. Ein kleines Zeichen von Höflichkeit, das jedem halbwegs intelligenten Menschen keine allzu großen Mühen abverlangen sollte. Zumal niemand gezwungen wird, Doppelpunkte zu benutzen oder beim Sprechen den Glottisschlag zu bemühen.
Nachdem der konservative Mann seine Probleme mit der Gehorsamkeit der Frau oder der Privatsache einer Vergewaltigung in der Ehe wohl zähneknirschenend heruntergeschluckt hat, will er nun aber zumindest den letzten großen Kulturkampf für sich gewinnen! „Gendern, nein danke!“
Dass man von misanthropen, rechtsradikalen Männern mit schlechtem Benehmen, wie sie die Mehrheit der AfD repräsentieren, nichts besseres erwarten kann, ist klar. Den wertkonservativen „Christen“ der CDU möchte man aber nur zurufen:
Gender, du Depp!
Addendum: Eine kleine Hilfestellung für die kommunalen Rechtsradikalen.
Dass der Fraktionsvorsitzende der AfD im Ratinger Stadtrat viel Langeweile und seltsame Hobbys hat (Stichwort: Öffentliche Toiletten) ist im Rat der Stadt der Ratingen hinlänglich bekannt. Deswegen werden Anträge der AfD in aller Regel einfach nicht auf die Tagesordnung genommen oder einfach schlicht abgelehnt. Mit welchem Müll die AfD aber die anderen Ratsfraktionen von der Arbeit abhält und die Verwaltung belastet, kann man in einem Antrag zu einem „Gender-Konverter“ ablesen.
Ganz offensichtlich versucht sich Herr Ulrich hier von seiner humoristischen Seite, lässt aber leider erkennen, dass er weder der deutschen Sprache mächtig ist, noch das Thema gendergerechte Sprache irgendwie intellektuell zu durchdringen vermag.
Hier helfe ich gerne und deswegen fangen wir oben an: Was von Herrn Ulrich wohl als provokantes Beispiel aus einem Verwaltungstext gefischt wurde (der im Original nicht von der Stadtverwaltung, sondern aus einem externen Planungsbüro stammt), ist leider sowohl von der Rechtschreibung, als auch von der Grammatik her falsch. Ein Umstand, den Herr Ulrich unter Selbstbewunderung für seinen vermeintlichen Coup wohl leider übersehen hat („vorbildlich gegendert…“).
„Bei dieser Breite können sich im Querschnitt zwei Radfahrende begegnen sowie überholen beziehungsweise ein:e Radfahrerende:r kann zwei Zu Fuß Gehenden begegnen bzw. diese überholen“
Auszug aus Anlage 2 (Erläuterungsbericht) zur Ratsvorlage 209
Das Wort „Radfahrerender“ kennt die deutsche Sprache leider nicht und da kann dann auch das beste Sprachprogramm nichts machen. Korrekterweise müsste es also „Radfahrender“ heißen. Wobei wir beim nächsten Problem wären und das ist, dass Herr Ulrich einfach die ganz basalen grammatikalischen Regeln nicht internalisiert hat und deswegen natürlich auch beim Gendern seine Probleme hat.
„Radfahrende“ ist eine Partizipialform und damit geschlechtsneutral. Es wäre deswegen falsch zu schreiben „Radfahrende:r“, weil man damit nur eine geschlechtsneutrale Gruppe von Radfahrern („Radfahrende“) von einem einzelnen männlichen Radfahrenden abgrenzen würde. Es ist deswegen auch sinnlos einen gegenderten unbestimmten Artikel zu verwenden.
Das ist das Problem mit dem Gendern: Es setzt ein Mindestmaß an Verständnis für unsere Sprache und vor allem Bereitschaft sich mit etwas Neuem zu beschäftigen vorraus. Beides bei der AfD eher schwierig…
Korrekt müsste der Satz also heißen:
„Bei dieser Breite können sich im Querschnitt zwei Radfahrende begegnen sowie überholen, beziehungsweise ein:e Radfahrer:in kann zwei zu Fuß Gehenden begegnen bzw. diese überholen“
Auszug aus Anlage 2 (Erläuterungsbericht) zur Ratsvorlage 209 – korrigierte Version
Diese korrekte Variante kann auch ohne Probleme von Sprachprogrammen aktueller Betriebssysteme vorgelesen werden.
Sprachlich schöner und ebenso zulässig wäre aber sicher:
„Bei dieser Breite können sich im Querschnitt zwei Radfahrende begegnen sowie überholen, beziehungsweise eine Radfahrerin oder ein Radfahrer kann zwei zu Fuß Gehenden begegnen bzw. diese überholen“
noch schönere Version eines Auszug aus Anlage 2 (Erläuterungsbericht) zur Ratsvorlage 209
Bei einem stimmen wir allerdings zu: Menschen mit kognitiven Handicaps mögen Probleme mit gegenderter Sprache haben.
Eine kostenlose Serviceleistung Ihres freundlichen Antifaschisten.
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Kommentare von christoph